Beste Aussichten fürs einst ärmliche Bergdorf

Burgeis auf der Sonnenseite

 

ZFRIDN« steht in großen Lettern auf dem roten T-Shirt des Burgeiser Wanderführers Gerhard Malloth.

Zwei Dutzend Lohrer begleitet er am Samstagmorgen auf dem Sonnensteig zwischen Burgeis und Schluderns zu einer 15-Kilometer-Tor. »Zufrieden« und »auf dem Sonnensteig«, das trifft die Situation und Stimmung im Lohrer Patenort bestens. Es gilt für den Blick zurück ebenso wie für die Zukunftsaussichten. Kultur bewahren: Dafür steht in Burgeis besonders die Musikkapelle – ob beim Patenschaftsfestabend oder hier beim Kirchgang am Sonntag mit der Lohrer Gruppe.

Aus dem ärmlichen Bergbauerndorf, das es zu Beginn der Verbindung mit Lohr vor 40 Jahren war, ist eine florierende, vitale Ortsgemeinschaft geworden. Die Lohrer Patenschaft hat dazu Anschubhilfe, beispielsweise beim Bau des Kulturhauses, in der die Lohrer Gäste das Patenschaftsjubiläum mit den Burgeisern feierten, gegeben. Die freundschaftlichen Kontakte mit vielen Lohrern sind nach wie vor eine Stärkung für den Tourismus. Rund 100 000 Gästeübernachtungen hat Burgeis jedes Jahr, davon etwa 5000 aus Lohr und dem Spessart, schätzt Gerhard Malloth, der im April erst in Lohr war, um Burgeis auf der MSP-Expo mit Prospekten, Käse und Speck schmackhaft zu machen.

In Burgeis ist es sanfter Tourismus, der Landschafts- und Ortsbild schont und auch fördert, wie die vielen renovierten uralten Bauernhäuser zeigen. Die kulturelle Tradition wird hochgehalten ohne in aufgesetzten Touristenkitsch zu verfallen, aber auch für die Moderne ist Platz. Das wird bei Gebäuden sicht- und Menschen erlebbar. Keine demografischen Probleme.

Das 850-Einwohner-Dorf- zur Marktgemeinde Mals gehörend, aber aus Lohrer Sicht gern schon mal scherzhaft als »8. Lohrer Stadtteil« betrachtet, steht heute besser da als mancher Lohrer Stadtteil, manches Spessartdorf. Der demografische Faktor ist für den Ortsvorsteher Florian Punt ein Fremdwort, von dörflichem Ausbluten kann hier an der Etsch nicht die Rede sein: »Es läuft ganz gut mit unserer Jugend«, sagt der 39-jährige Pensionsbetreiber, Skilehrer und Ortsorganisierer. Der Kindergarten ist mit 28 kleinen Burgeisern gefüllt, die Grundschule im Dorf mit fünf Klassen fest verankert. Die Jugendlichen haben Perspektiven im Ort, können in der Region bleiben. Die Mütter und Väter bringen Familie und Beruf gut zusammen, weil Tourismus und Landwirtschaft im eigenen Haus oder in der Nachbarschaft Beschäftigung bieten, in die auch die Kinder und Jugendlichen mit hineinwachsen. Die kleinen Viehställe im Ort werden weniger, die Kuhfladen seltener, doch Milchbehälter prägen weiter das Straßenbild. Ziel ist die Genossenschaftsmolkerei. »Die Sennerei läuft gigantisch gut«, bekennt Ortsvorsteher Punt. Den Bauern kann sie einen Milchpreis von 53 Cent bieten - deutsche Landwirte bekommen im Durchschnitt 20 Cent weniger pro Liter. Der Absatz des Burgeiser Käses läuft bestens bis nach Deutschland, nicht nur wenn Lohrer Gäste wie am Sonntag vor der Heimfahrt den Genossenschaftsladen stürmen.

Der Vorteil des Zurückbleibens »Wir sind gegenüber der Entwicklung der deutschen Landwirtschaft 30 Jahre zurück«, sagt Punt. Das kann ruhig weiter so bleiben: Es ist die kleinbäuerliche Landwirtschaft, die Berglandschaft, dörfliche und genossenschaftliche Strukturen erhält, den Menschen in der Region, die nun schon fast ein Jahrhundert zu Italien gehört, die Heimat und Kultur bewahrt. Hinter diesem Aufblühen der Regionen steht auch die EU. Ihre Förderung, ob für Beweidung der Bergwiesen oder neue Wander- und Radwege zeigt sich vielfach im oberen Vinschgau. »Interreg« heißt das Programm, das im Dreiländereck die Verbindung und Verzahnung mit Österreich und der Schweiz ausbaut. Auch für den Erhalt der Waale, der für den regenarmen Vinschgau typischen Bewässerungsgräben, an denen Malloth bei der Wanderung mit den Lohrer Gästen die Bewunderung für diese herrliche Stück Landschaft gerne hört, sprudeln die Zuschüsse. Doch nicht immer sind die Interessen zwischen Landwirtschaft Tourismus und anderer wirtschaftlicher Entwicklung deckungsgleich. »Die Bauern sind nicht so begeistert«, sagt Wanderführer Malloth über ein neues Mountainbikeprojekt mit Österreich. Abgewendet werden konnte für Burgeis ein Windkraftwerkpark - es blieb beim Anblick von zwei Windmühlen, die oberhalb von Burgeis auf der Malser Heide ihre Flügel zur Energiewende drehen.

Bei allem wirtschaftlichen Florieren, die europäische Staatsschuldenkrise kriecht doch den Reschenpass herauf. »Man spürt's schon«, räumt Florian Punt ein. Der Staat will mehr Steuern und das Grummeln macht sich bei den Südtirolern bemerkbar. Doch die Zeiten der gesprengten Strommasten im Kampf um Autonomie für Südtirol wie sie vor vier, fünf Jahrzehnten, als auch die Patenschaft begründet wurde, das Bild beherrschten, kommen hoffentlich nicht wieder. Auch zur italienischen Staatsschuldenkrise kann Wanderführer Gerhard der Lohrer Gruppe beim Gang den sonnigen Berghang entlang mit Gelassenheit und Grundoptimismus sagen: »Unser Land ist noch reich«.

Klaus Fleckenstein , Lohrer Echo am 15.5.2012