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"Die Krise ist der Normalfall"

Vortrag: Theologe Thomas Schwartz fordert "Menschendienlichkeit" der Wirtschaft und weniger staatliche Leistungen

Lohrer Echo vom 10.11.2011  Thomas Josef Möhler

Neu an der Finanz- und Schuldenkrise ist nach Ansicht von Thomas Schwartz nicht die Krise selbst, sondern der Umgang mit ihr. Der 47-jährige Moraltheologe und Fernsehmoderator sprach am Dienstagabend im Rahmen der Vortragsreihe von Sparkasse Mainfranken und Arbeitskreis auf Burg Rothenfels im Betriebsrestaurant der Bosch Rexroth AG vor rund 350 Zuhörern über »Wirtschaftsethik in einer globalisierten Welt«.
Der Grund wirtschaftlichen Handels ist für Schwartz die Existenzgründung und Existenzsicherung, wobei die zur Verfügung stehenden Ressourcen als knapp angenommen würden. Ziel der Wirtschaft sei also nicht die Profitmaximierung, sondern die »Bedürfnisbefriedigung unter Knappheitsvoraussetzungen«.

Dieser von Adam Smith, dem Begründer der klassischen Nationalökonomie, »Menschendienlichkeit« genannte Sinn der Wirtschaft bedeute nicht, dass man gar keine Profite machen solle. Aber die Profite dürfen nicht das Zentrum des Handelns sein.
In einer privat organisierten Wirtschaft platzten immer wieder Blasen. Eine Krise sei daher keine Ausnahme. Schwartz zitierte die Ökonomen Werner Sombart (»auf den Rausch folgt der Kater«) und Joseph Schumpeter, der die Wirtschaft als »schöpferischen Prozess der Zerstörung« beschrieben hat. Daraus folgerte der Referent: »Die Krise ist der Normalfall in unserem Wirtschaftssystem.«

So sei auch die Pleite der US-Bank Lehman Brothers ein »ganz normaler Vorgang« gewesen. Ursache der Bankenkrise war laut Schwartz die Abkehr der Kreditinstitute »von ihrer eigentlichen Aufgabe, der Realwirtschaft zu dienen«. Das Neue an der Krise sei, dass die Zentralbanken mit »Unsummen« eingestiegen seien, um die Privatbanken liquide zu halten.

Die aktuelle Krise habe dagegen andere Gründe. Heute seien Banken nicht in Not, weil sie sich verspekuliert hätten, sondern weil sie sehr hohe Summen in eigentlich als sicher geltenden europäischen Staatsanleihen angelegt hätten. Darüber versorgten sich die Staaten »mit viel Geld, das sie nicht mehr zurückzahlen können«.
Mit dem geliehenen Geld erfüllten die Staaten mehr Wünsche, »als sich gebührt«. Deshalb müssten sich die Staaten laut Schwartz »zum Teil vom Geldausgeben verabschieden«. Statt- dessen sollten sie den »Menschen die Möglichkeit geben, selbst etwas zu leisten«.
Als Folgerung aus den Krisen zog der Moraltheologe, man müsse zum Grundverständnis der Wirtschaft zurückkehren, den Menschen zu dienen. Erster Auftrag an die Finanzwelt sei es, dafür das nötige Geld zur Verfügung zu stellen.

Die Finanzwirtschaft habe sich am Wachstum der Realwirtschaft zu orientieren. Überlegt werden müsse, ob eine Trennung von Geschäfts- und Investmentbanken sinnvoll sei.

Die Gesellschaften müssten sich fragen lassen, ob sie in den letzten Jahren zunehmend verantwortungslos in dem geworden seien, was sie von den Staaten erwarteten. »Haben wir die Folgen bedacht, wenn wir nach immer neuen staatlichen Leistungen gerufen haben?«, fragte Schwartz. Die Gesellschaften hätten »nicht nach ehrbarer Kaufmannsmanier, sondern nach einer gewissen Schlitzohrigkeit gelebt«.
Die knappen Ressourcen müssten so genutzt werden, »dass auch künftige Generationen die Chance haben, ihre Bedürfnisse zu befriedigen«. Wer von den Staaten jetzt Sparsamkeit fordere, müsse sich bewusst sein, »dass man nicht mehr alles haben kann«.

Der Sparkassen-Vorstandsvorsitzende Rudolf Fuchs nannte es »mutig«, als Kreditinstitut zum Thema Ethik einzuladen. Denn ein älterer Herr habe ihn einmal wissen lassen: »Banker sind Gauner.« Zum zögerlich einsetzenden Applaus und Gelächter im Publikum meinte Fuchs: »Das ist offensichtlich nicht nur die Meinung eines älteren Herrn.«

 


In der kurzen Diskussion nach dem Vortrag wollte der frühere CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Keller (Zellingen) wissen, ob die Staaten und Politiker aus der Krise gelernt hätten. Schwartz war nicht sehr optimistisch: »Wir werden immer wieder Krisen haben.« Auf die Frage des früheren Leiters der Berufsschule Main-Spessart, Robert Engelhardt, ob es in der globalisierten Wirtschaft nicht ohne »Schmieren« gehe, meinte Schwartz, Korruption werde es immer geben, weil sie in der menschlichen Natur liege.

Eingreifen des Staates

Entscheidend seien das regulierende Eingreifen des Staates und Transparenz. Er hoffe auf die Wirkung zunehmenden Wohlstands und Freiheit.
»Wo bleibt die Ethik bei zwei Billionen Euro Staatsverschuldung in Deutschland?«, wollte Ernst Richstein wissen. Diese Frage muss sich laut Schwartz jeder Politiker selber stellen, wobei er einräumte, eine »Amtszeitbegrenzung täte manchem Politiker gut«.