Feiernde Polizisten und Postboten in Bäumen

40 Jahre Patenschaft: Wie Lohrer Zeitzeugen das alte Burgeis erlebten - Umwandlung in eine Städtepartnerschaft ist nicht vorgesehen

 

 

Lohr Am Sonntag jährt sich die Unterzeichnung der Patenschaftsurkunde der Stadt Lohr mit dem Südtiroler Bergdorf Burgeis zum 40. Mal. Zeitzeugen wie 3. Bürgermeisterin Rosemarie Stenger, der frühere Stadt- und Kreisrat Alfons Ruf und Irmgard Heider, die Sekretärin von Ludwig Rexroth, erinnern sich an damals zurück. »«Es war eine schöne Zeit, die ich nicht missen will«, sagt Stenger.
 

40 Jahre mit Lohr verbunden: das Bergbauerndorf Burgeis am Reschenpass im Südtiroler Vintschgau. Wahrzeichen des in der Römerzeit gegründeten Orts sind die Fürstenburg und das Benediktinerkloster Marienberg.

Als Rexroth- und Stiftungsmitarbeiterin sei sie schon sehr früh in Burgeis gewesen, so Stenger. »Es war ein richtig schönes, altes Bergbauerndorf, wo die Kühe noch durch die Straßen getrieben wurden.« Vor allem die Menschen haben die heutige 3. Bürgermeisterin Lohrs beeindruckt: »Die Leute waren so nett.«
So wundert es nicht, dass Stenger Burgeis als »meine zweite Heimat« bezeichnet und immer noch zwei- bis drei Mal im Jahr dorthin fährt. Armut gebe es längst keine mehr. Ganz anders habe es vor 40 und mehr Jahren ausgesehen: »Wenn wir ’runtergefahren sind, haben wir Kleider und Schuhe mitgenommen, über die die Leute sehr froh waren.«
Die Entwicklung von Burgeis sei enorm, die damaligen und heutigen Zustände seien »wie Tag und Nacht«. Die Einfahrt ins Dorf sei seinerzeit »kriminell« gewesen, die Straße auf den Hausberg Watles nicht geteert und »lebensgefährlich«: »Der Postbote hing schon mal in den Bäumen.«
Auf den Watles führte ein alter Lift mit einfachen Holzsitzen, »bis du oben warst, warst du durchgefroren«. Aber schön war's dennoch: Die Ansprüche der Urlauber waren nicht so hoch wie heute, »viel Musik ist gemacht worden, die Geselligkeit war einmalig und zu den Leuten hat man schnell Kontakt gefunden«.
Nur zwei oder drei Wirtschaften habe es anfangs gegeben, »aber das Dorf hatte Charme«, erinnert sich Stenger. Dann habe der Tourismus langsam begonnen - erst einmal als Nebenerwerb. Den schicken Skilehrer habe man im Dorf auch schon mal als Bauer auf dem Misthaufen sehen können, »da war der Schick dahin«.
Eine Anekdote fällt Stenger noch ein: Kurz vor der Rückfahrt nach Lohr sahen ihr Mann und sie sich noch ein neu geborenes Kälbchen an. Bei der Grenzkontrolle am Reschen kurbelten sie die Fensterscheibe hinunter. »Da hat sich der Kontrolleur angewidert weggedreht, als der Stallgeruch aus dem Auto gequollen ist.«
»Urtümlich« fällt Alfons Ruf auf die Frage ein, wie Burgeis seinerzeit ausgesehen habe. Das tirolerische Ortsbild sei von »Bauernhäusern in einem verhältnismäßig guten Zustand« geprägt worden. Das habe sich wie überall gewandelt.
Von den Burgeisern seien die Lohrer beeindruckt gewesen, »wir haben schnell Freundschaften geschlossen«. Die einheimische Ortsbevölkerung sei offen gewesen - und letzten Endes auch die italienische Obrigkeit, die die Kontakte erst etwas behindert habe.
Ruf erinnert sich, wie der italienische Carabinieri, der um 22 Uhr die Sperrstunde durchsetzen wollte, mit Burgeisern und Lohrern bis nach Mitternacht feierte. Geblieben sind von damals Freundschaften mit Einheimischen, die die ganze Zeit über hielten. Ruf selbst pflegt noch Kontakte zu mehreren Burgeisern.
»Ich habe das damals angeleiert«, sagt Irmgard Heider. Sie kam zufällig auf dem Rückweg aus dem Urlaub durch Burgeis. »Da müssen sie unbedingt mal vorbei«, habe sie ihrem Chef Ludwig Rexroth geraten. Das habe dieser auch gemacht. »Dann sind wir jedes Jahr 'runtergefahren.«
Als Rexroth seine Stiftung gegründet habe, sei viel Geld nach Burgeis geflossen: an den damaligen Bürgermeister Sepp Peer und Lehrer Eduard Platzer. »Die haben es verteilt und immer Berichte geschrieben.« Dass ab den 1970er Jahren viele Lohrer nach Burgeis gefahren seien, habe dem Tourismus Auftrieb gegeben. Heider hat immer noch Kontakte zu Platzer.
Inzwischen ist Burgeis kein armes Bergdorf mehr. Ist eine »Patenschaft« überhaupt noch zeitgemäß? Wie können sich die Beziehungen zwischen Lohr und Burgeis weiterentwickeln? Die Stadt Lohr ist nach den Worten ihres Sprechers Dieter Daus der Auffassung, »dass wir mit der Patenschaft auch weiterhin auf der richtigen Schiene sind. Wir wollen diesen Weg auch künftig weitergehen.«
Die seit vier Jahrzehnten gelebte Patenschaft mit Burgeis habe sich bewährt. Auch heute noch gebe es zahlreiche aufrichtige Freundschaften zwischen Lohrern und Burgeisern - »und das über Jahrzehnte hinweg«.
Gegen die Umwandlung der Paten- in eine Partnerschaft spreche, dass sich Lohr mit rund 16 000 Einwohnern und Burgeis mit etwa 850 Einwohnern von der Größe her stark unterschieden. Ferner sei Burgeis nicht mehr selbstständig, sondern gehöre zum Gemeindeverband Mals (circa 5000 Einwohner).
Im Lauf des Jahres 2007, also nach 35 Jahren Patenschaft, sei das Thema Paten- oder Partnerschaft in der Stadtverwaltung und mit den Burgeisern diskutiert worden. Eine Umwandlung sei »aus diesen Gesprächen heraus nicht angestrebt worden«, so Daus. Dass zu den Jubiläen in erster Linie Lohrer nach Burgeis und nicht umgekehrt führen, liege nicht an einem fehlenden Interesse der Burgeiser Bürger an der Patenschaft, versichert Daus.
Zum einen mache die Burgeiser Bevölkerung nur ein Zwanzigstel der Lohrer aus, zum anderen lebe Burgeis vom florierenden Tourismus im Sommer und im Winter. Der Südtiroler Bergort sei geprägt von zahlreichen Hotels, Pensionen und Gasthöfen. »Für die Burgeiser ist es deshalb ungleich schwerer, mit einer großen Delegation nach Lohr zu kommen«, so Daus.
Aber erst zur MSP-Expo vor gut zwei Wochen war der Burgeiser Ortsvorsteher Florian Punt mit zwei Begleitern in Lohr, um für vier Tage den Stand von Burgeis im Lohrer Zelt zu betreuen, mit dem für den Besuch in der kleinen Südtiroler Gemeinde geworben wurde. Sicher erfolgreich, wie die vielen privaten Urlaubsaufenthalte von Lohrern in den vergangenen vier Jahrzehnten zeigen.

 

Thomas Josef Möhler, Lohrer Echo, 8.Mai 2012